28.02.2023
Künstliche Intelligenz kann mittlerweile Texte schreiben, Bilder erzeugen oder Fakten sammeln. Wo Computer schon jetzt kreativ arbeiten – und welche Fallstricke es gibt.
Was macht ein Literaturkritiker, der den Auftrag hat, ein Buch zu besprechen aber kaum Zeit, es ganz zu lesen? Früher hätte er womöglich eine Nachtschicht einlegen müssen. Heute kann er sich das sparen und, wenn er möchte, stattdessen auf Künstliche Intelligenz (KI) setzen. Zum Beispiel auf die Software „Luminous“, die längere Texte wie Bücher analysiert entwickelt vom Heidelberger Start-up Aleph Alpha. Das glaubt zumindest Frank Schlottmann, Vorstandsmitglied der msg-Gruppe, eines renommierten deutschen IT-Dienstleisters, der mit Aleph Alpha eine Partnerschaft unterhält.
„Sie könnten der KI das Buch elektronisch hinwerfen und Fragen dazu stellen“, sagt Schlottmann. „Was zeichnet die Hauptperson aus? Wie ist die Stimmung auf Seite 54? All das kann die KI beantworten.“ Wären Bilder im Buch enthalten, könnte die Software auch sie verstehen und beschreiben. „Das ersetzt einen mittelmäßigen Literaturkritiker.“
Luminous ist nicht die einzige KI, die Kreativarbeitern wie Marketingfachleuten, Journalistinnen oder Werbern die Arbeit abnehmen kann. Wohl am bekanntesten ist die Technologie das Start-ups OpenAI, das von Microsoft unterstützt wird und mit seinem Textroboter ChatGPT derzeit Schlagzeilen macht. Welche relevante Kreativ-KI gibt es darüber hinaus? Wo setzt man sie ein und welche Fallstricke gibt es? Das Handelsblatt hat sich bei Experten umgehört und vier Felder identifiziert, in denen KI schon jetzt in der Lage ist, Kreativen einen Teil ihrer Arbeit abzunehmen.
Texte schreiben oder zusammenfassen mit Künstlicher Intelligenz
KI-Firmen: OpenAI (USA), Aleph Alpha, Contentpepper, Nulu (Deutschland)
Der KI-Blogger mit dem Profilnamen Barsee postete auf der Plattform Twitter Anfang Februar dreizehn KIs, die seiner Ansicht nach „stundenlange Arbeit in wenigen Minuten? erledigen. Darunter waren auch solche, die ähnlich wie etwa ChatGPT kreative Texte verfassen oder zusammenfassen können. Schlottmann von msg sagt: „Diese Systeme werden die Art, wie wir schreiben, massiv verändern. Sie würden so gute Textvorschläge machen, dass man sich schwertut, das als Mensch in der Form hinzubekommen.“ Sogar die Stimmung eines Textes könne Luminous analysieren, etwa in E-Mails. „Das ist zum Beispiel für Führungskräfte interessant“, sagt der Manager.
Auch Text-KI „made in Germany“ gibt es bereits. Damit kennt sich Vanessa Just aus, Vorständin des Bundesverbands KI und Expertin für die nachhaltige Automatisierung von Geschäftsprozessen. Just nennt beispielhaft das Unternehmen Nulu und die KI-basierte Plattform Contentpepper. Die Contentpepper-Gründer werben damit, dass ihre KI neben suchmaschinenoptimierten Überschriften etwa für Onlineshops Gliederungen für Beiträge erstellen kann. Hat man zum Beispiel als Journalist eine große Menge an Material recherchiert und ist unsicher, wie man den betreffenden Artikel aufbauen soll, nennt man der KI sein Thema und bekommt einen möglichen roten Faden ausgespuckt.
Eine Einschränkung betont Vanessa Just: KI-Modelle wie Nulu oder Contentpepper könnten zwar eine erhebliche Menge an Texten automatisch generieren, „doch bestimmte Aspekte bleiben in der Hand menschlicher Intelligenz“. So sei KI oft nicht in der Lage, Texte an die spezifischen Bedürfnisse einer Zielgruppe anzupassen, etwa einer bestimmten Altersgruppe.
Bilder und Illustrationen erzeugen mit Künstlicher Intelligenz
KI-Firmen: Stockimg AI (Türkei), Clipdrop (Frankreich), Booth AI (USA), Clickable (USA), Irisnet AI, Deep Art Effects (Deutschland)
Eine KI aus diesem Bereich ist Stockimg. „Dabei handelt es sich um einen KI-basierten Ersatz für Stockfotoanbieter“, erklärt Experte Schlottmann. Die Software hinter Stockimg ist in der Lage, anhand eines Suchbegriffs einen bestimmten Bildtypus zu erzeugen verwendbar etwa für Buchcover oder Poster. Die KI nimmt nur Eingaben in englischer Sprache an. Lesen Sie auch: Microsoft-KI-Experte Eric Boyd: „Jetzt geht es aus den KI-Laboren hinaus in die wirkliche Welt“. Ähnlich funktioniert die Bildbearbeitungs-KI Booth.AI. Sie kann Produktfotos selbst erzeugen und in neue Hintergründe einbetten. Schlottmann gibt ein Beispiel: „Sie nehmen ein Foto von einem Model als Basis, ein weiteres von einem Kleidungsstück und ein drittes von einem bestimmten Hintergrund. Heraus kommt ein Bild von dem Model in dem Kleidungsstück vor dem Hintergrund.“ Ähnliches könnte man zwar auch mit Programmen wie Photoshop erreichen das dauere aber wesentlich länger. „Booth AI produziert Ihnen diese Art von Inhalten wie am Fließband“, sagt Schlottmann.
Nicht alle freuen sich darüber. „KI wie diese bedroht das Geschäftsmodell anderer Stockfotoanbieter“, sagt Schlottmann. Erste Klagen von Stockfoto-Anbietern gegen KI-Bildgeneratoren gibt es bereits: So hat Getty Images in Großbritannien kürzlich Stability AI verklagt, die Entwickler hinter der Bild-KI Stable Diffusion. Die Bilder, mit denen die KI trainiert worden sei, so heißt es von Getty, seien unrechtmäßig verwendet worden. Auch Vanessa Just vom Bundesverband KI warnt: Gerade bei KI aus dem Bild- und Videobereich sei das Urheberrecht ein großes Problem. „Die Verwendung von urheberrechtlichem Material zum Training von Modellen ist sehr umstritten“, sagt Just. „Wenn die KI bei der Erstellung neuer Werke auf solches zurückgreift, kann dies gegen das Urheberrecht verstoßen.“
Recherche und Datenextraktion mit Künstlicher Intelligenz
KI-Firmen: Usechannel (Großbritannien), Browse AI (USA), Blu Analytics (Deutschland)
Ein deutsches KI-Modell aus dem Bereich Recherche ist Blu Analytics. Das KI-Modell dahinter wertet in Echtzeit Finanznachrichten aus, prognostiziert deren Auswirkungen auf die Finanzmärkte und übersetzt diese Informationen in eine Handelsentscheidung. Für Privatanleger damit wirbt das Unternehmen auf der eigenen Website bewältige der Robo-Advisor die „tägliche Informationsflut“. Aber es brauche den Menschen als Korrektiv beim Einsatz der KI, warnt Just. „In der Klassifizierung von KI werden zwei Arten unterschieden: schwache und starke KI „, sagt die Wissenschaftlerin. Alle bisher entwickelten KI-Systeme gehörten zur Kategorie der schwachen KI. Das bedeutet, sie können nur eine bestimmte Aufgabe erfüllen, für die sie exakt trainiert wurden, etwa Text-, Bild- oder Spracherkennung und -verarbeitung. Darüber hinaus sei diese „schwache KI“ nicht in der Lage, Lösungen zu finden, weil sie sich nicht anpassen könne.
Starke KI hingegen wäre in der Lage, jede denkbare Aufgabe zu verstehen und zu erfüllen und wie Menschen Erfahrungen und erworbenes Wissen zur Lösung neuer, unbekannter Probleme zu nutzen, erklärt Expertin Just. „Allerdings in einer deutlich höheren Geschwindigkeit.“
Spracherkennung und Sprachausgabe mit Künstlicher Intelligenz
KI-Firmen: Elevenlabs (USA), DeutscheKI (Deutschland)
Grundsätzlich gibt es bei Spracherkennung zwei Richtungen, in die KI arbeiten kann. Entweder erkennt sie gesprochene Sprache und wandelt sie zum Beispiel in Text um (Spracherkennung) oder, umgekehrt, sie wandelt Text in gesprochene Sprache um (Sprachausgabe).
Ein Beispiel für Letzteres ist die „Text-to-Speech“-KI des US-Unternehmen Elevenlabs, mitgegründet von Piotr Dabkowski (Ex-Google-Mitarbeiter) und Mati Staniszewski (früher bei Palantir). In ihr Modell kann man Text eingeben und bekommt ihn vorgelesen. „Hilfreich ist das zum Beispiel für Onlineshops, die eine barrierefreie Website bauen wollen“, sagt Schlotmann. Ein weiteres Beispiel aus dem Twitter-Beitrag von Nutzer Barsee ist das US-Unternehmen Papercup. Das von ihm genutzte KI-Modell kann gesprochene Sprache verarbeiten und sogar übersetzen. Es kann etwa Schulungsvideos, die ganze Unternehmensbelegschaften etwa zu Themen wie Arbeitssicherheit, Compliance oder Datenschutz anschauen müssen, mit Untertiteln betexten. Allerdings gehört Deutsch noch nicht zum Repertoire der KI.
Arbeitsprozesse mithilfe von KI: „Der Mensch finalisiert“
Wie Vanessa Just ist Frank Schlottmann überzeugt, dass KI den Menschen nicht überflüssig macht, zumindest nicht in absehbarer Zukunft. „Viel besser ist der Ansatz, KI als Assistenz zu betrachten. Als einen Teil des Arbeitsprozesses, der eine unterstützt und der Mensch finalisiert dann“, sagt Schlottmann. Es brauche weiter menschliche Kompetenzen im Umgang mit KI, sagt Vanessa Just. Nur zwei Beispiele seien Informatikerinnen, die die Quellcodes der Systeme programmieren, oder Data-Scientists und -Manager, die die entsprechenden Daten pflegen und sichern.
Weil KI-Sprachmodelle auf statische Methoden setzen, verfügen sie außerdem weder über Weltwissen noch über logisches Denken. Finden sie in den Daten, mit denen sie „gefüttert“ wurden, keine konkreten Antworten auf eine Frage, „halluzinieren“ Textroboter wie ChatGPT deswegen manchmal, wie KI-Forscher das Phänomen nennen: Sie erfinden also Fakten oder ergänzen das, was sie für am wahrscheinlichsten halten.
Erstpublikation: 26.02.2023, 13:14 Uhr. Beil, Julia | Veröffentlicht auf Handelsblatt.com am 27.02.2023
Quelle: Handelsblatt.com vom 27.02.2023 Rubrik: Karriere, Dokumentnummer: HB_28989050. Alle Rechte vorbehalten: (c) Handelsblatt GmbH