18.07.2022
"Das Element des Zufälligen ist ein hoch interessantes Merkmal"
Im ersten Teil des Interviews hat sich gezeigt, dass Quantencomputing relevant ist und viel näher an seiner Anwendung steht, als man denken könnte. Abgeschlossen haben wir mit dem Wort „NP-schwer“ – naja, das ist die Bezeichnung für besonders rechenintensive Algorithmen. Und hier liegt der Nutzen des Quantencomputing: es macht aus „echt schwer“ ein „echt lösbar“.
Es heißt in den Medien oft, dass „Quantencomputing unsere Welt verändern wird“ – in welchen Anwendungsgebieten zeigt sich das Potenzial der Quantentechnik konkret?
Ob Quantencomputing die Welt verändern wird, sei mal dahingestellt. Aber tatsächlich gibt es schon eine ganze Reihe von Anwendungsgebieten, auf denen intensiv nach Einsatzmöglichkeiten von Quantencomputern geforscht wird, nicht nur, aber gerade auch in der Automobil-Branche. Und das mit – wie ich finde – atemberaubenden Aussichten, Problemstellungen zu lösen, die den heute üblichen Rechnerarchitekturen sehr schwer zugänglich sind.
Was sind das nun für Problemstellungen, die wir mit Quantencomputern angehen wollen?
Wir hatten im ersten Teil des Interviews ja darüber gesprochen, dass der große Vorzug des Quantencomputings in der enormen Parallelität liegt: Ein Quantenalgorithmus verarbeitet Linearkombinationen aus allen möglichen Lösungen gleichzeitig. Das bedeutet, dass eines der wichtigsten Anwendungsgebiete in eben solchen Problemstellungen liegt, in denen es eine extrem große Zahl möglicher Lösungen gibt. Das sind beispielsweise Optimierungsprobleme wie das berühmte Problem des Handlungsreisenden, der eine bestimmte Anzahl an Orten mit möglichst kurzer Gesamtwegstrecke und Zeit ansteuern muss.
Mit welchen Herausforderungen ist die Automobilbranche derzeit konkret konfrontiert, bei denen Quantencomputing ein „Schlüssel zur Lösung“ ist?
In der Automobil-Branche treten solche Fragestellungen in den unterschiedlichsten Arbeitsgebieten auf: Von der minimalen Anzahl an Sensoren für das autonome Fahren und deren optimaler Anordnung am Fahrzeug (ein Beispiel aus den Aufgabenstellungen in der erwähnten BMW-Challenge) über die Bereitstellung von Connected-Car-Services zur optimalen Routenplanung bis zur Optimierung von Vertriebs- und Produktionsprogrammen.
Erfüllbarkeitsprobleme sind von immenser praktischer Bedeutung.
In der Wirtschaft, in der Forschung und Entwicklung oder Sales wird Quantencomputing oft mit dem Begriff „Satisfiability-Probleme“ genannt – was versteht man darunter und welchen Mehrwert hat die Lösung?
Eine ähnliche Problemklasse sind tatsächlich so genannte Erfüllbarkeits- oder Satisfiability-Probleme, wie Du sie gerade ansprichst. In derartigen Problemen müssen für eine große Zahl an booleschen Variablen und regulärer Ausdrücke die Wertekombinationen gefunden werden, die all diese Regeln erfüllen. Das ist eine Problemklasse von immenser praktischer Bedeutung in der ges
Gibt es konkrete Beispiele für den Einsatz der booleschen Regelwerke in der Automotive-Branche?
Solche booleschen Regelwerke finden wir in Automotive beispielsweise in der Produktdokumentation, in Fahrzeugkonfiguratoren, in der Ermittlung einer Fahrzeugflotte, um vor dem „Start of Production“ die notwendigen Tests durchführen zu können (um noch einmal auf die BMW-Challenge zu sprechen zu kommen: Das war das Thema, in dem wir uns engagierten), Regelwerke für Versicherungs- und Serviceverträge und so fort.
Neuronale Netze anzulernen ist nichts anderes als eine hoch komplexe Optimierungsaufgabe.
Wie sieht es aus mit den heutigen Trendthemen wie beispielsweise Künstliche Intelligenz? Werden auch die profitieren?
Ja, natürlich. Neuronale Netze anzulernen ist nichts anderes als eine hoch komplexe Optimierungsaufgabe, auf einem sehr großen Raum an Variablen. Es ist eines der zentralen Probleme im Machine Learning, die Anlernphase einigermaßen überschaubar zu halten – denke an das Anlernen eines autonom fahrenden Fahrzeugs, das eigenständig je nach Verkehrssituation die unterschiedlichsten Entscheidungen treffen muss. Hier gibt es inzwischen eigene Forschungsaktivitäten, die sich genau damit beschäftigen, wie sich die Anlernphase mithilfe des Quantencomputings entscheidend beschleunigen lässt.
Du sagtest im ersten Teil des Interviews, dass Quantencomputing nicht direkt „die richtige“ Lösung liefert, sondern nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit. Ist das nicht ein massiver Nachteil?
Nun, zunächst ist es eben eine intrinsische Eigenschaft des Quantencomputings und einer der Gründe, warum Quantencomputing sicher nicht heutige Office-Anwendungen revolutionieren wird. Aber bei den erwähnten Problemstellungen überwiegt ab einer bestimmten Größenordnung der Vorteil der Parallelität bei weitem.
Das Element des Zufälligen ist jedoch auch ein hoch interessantes Merkmal des Quantencomputings, das sich in manchen Anwendungen sogar zum Vorteil wendet. Ich denke hier insbesondere an Simulationsrechnungen, beispielsweise für Materialverformung, Moleküldynamik, Verkehrsströme, Finanzmärkte, Wetter und Klima und vieles mehr. Mit unseren klassischen Simulationsverfahren besteht häufig das Problem, dass unsere „deterministischen“ Rechner keine echten Zufallszahlen kennen, sondern diese mithilfe mehr oder weniger geeigneter Algorithmen berechnen müssen. Diese Pseudozufallszahlen können die Simulationsergebnisse massiv verfälschen. Im Quantencomputing haben wir dagegen echte Zufallszahlen zur Verfügung, die in keiner Weise vorhersagbar sind – ein großer Vorteil in solchen Simulationsrechnungen (die im Übrigen ebenfalls wieder sehr komplex sein können, mit unzähligen Variablen und Beziehungen, also idealtypische Problemstellungen für Quantencomputer).
Wer sich rechtzeitig über „quantenfeste Verschlüsselung“ Gedanken macht, ist gut beraten.
Zufallszahlen spielen auch in Verfahren zur sicheren Kommunikation eine bedeutende Rolle – das kennen wir ja als Software-Ingenieure nur zu gut. Was hat das Quantencomputing denn für Anwendungen in der Kryptographie?
Ja, das ist ein sehr guter Punkt! Ganz unterschiedliche Dinge – zum einen gibt es bereits heute Zufallsgeneratoren, die auf quantenphysikalischen Prinzipien basieren und eben diese perfekten Zufallszahlen liefern, um TLS-Handshakes beispielsweise abzusichern. Es gibt abhörsichere Verfahren der Verschlüsselung in der Quantenkryptographie. Und am anderen Ende des Spektrums gibt es Quantenalgorithmen wie den bekannten Shor-Algorithmus, die für heute gängige kryptologische Verfahren eine ernste Bedrohung darstellen. Das heißt nicht, dass alle heute verwendeten Verschlüsselungen angreifbar wären, aber viele Standardverfahren schon. Und dann ist gut beraten, wer sich rechtzeitig über „quantenfeste Verschlüsselung“ Gedanken gemacht hat.
Da bin ich gespannt, was in ein paar Jahren aus all unseren schönen Kryptowährungen wird… vielen Dank für den Einblick in die möglichen Anwendungsgebiete!Im dritten Teil des Interviews wollen wir uns über die Herausforderungen unterhalten, denen sich Unternehmen beim Einsatz von Quantencomputing zu stellen haben, und wie sie damit umgehen können.Ich freue mich darauf! & nbsp;
Key Facts
- Wenn wir es mit Kombinatorik zu tun haben, also viel von dem in Beziehung setzen mit dem, dann wird es für Quantencomputing einfach.Simulation, Optimierung sind hier die Schlagworte, die man sich merken sollte, wenn man auf die Suche im eigenen Unternehmen geht.
- Quanten-Computing und neuronale Netze sind eine brilliante Kombination.Dort wo KI bereits in aller Munde ist, kommt bald QC hinzu.
Alle Interviews
- Teil 1: Quantencomputing - Der nächste Sprung in der Digitalen Transformation
- Teil 2: Quantencomputing - Welche Anwendungsgebiete sind realistisch für den Einsatz der „Supercomputer“?
- Teil 3: Quantencomputing - Wie ist der Weg zum praktischen Einsatz und welche Hürden sind von Unternehmen zu überwinden?