06.10.2022
Im ersten und zweiten Interviewteil der Quantencomputing-Artikelreihe haben wir gehört, dass Quantencomputing an Relevanz gewonnen hat und dass die Anwendungen für Quantencomputing bereits in den Unternehmen vorliegt. Schließen wir heute dieses Interview mit dem letzten Teil der Artikelreihe ab: Was gilt es bei Quantencomputing zu beachten, wo kann ich von der Erfahrung der msg-Gruppe lernen?
Welche Herausforderungen bringt die Umsetzung von Quantencomputing aktuell für Unternehmen und welche Hürden sind dabei zu überwinden?
Schauen wir nochmals darauf, was wir zu Beginn sagten: Quantencomputing funktioniert fundamental anders als die heute verbreiteten Algorithmen. Das bringt auf mehreren Ebenen Herausforderungen mit sich für die, die sich auf diese Technologie einlassen: Wie identifiziere ich in meinem Tätigkeitsbereich oder gar in meinem Unternehmen die Probleme, für die grundsätzlich eine Lösung mittels Quantencomputing sinnvoll ist? Wie finde ich den richtigen Lösungsansatz, und wie entsteht dann auf dieser Basis die Software für den Quantencomputer?
Wie finden Kunden „sinnvolle“ Problemstellungen?
Nun, wir hatten bereits darüber gesprochen, für welche Fragestellungen sich Quantencomputing grundsätzlich eignen könnte: Schwer zu berechnende Aufgaben, die entweder viele Variablen (und einen entsprechend großen Lösungsraum) oder viele Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Größen haben, Simulation komplexer Systeme oder umfangreiche Aufgaben mit booleschem Regelwerk. Viele kombinatorische Fragestellungen fallen dort rein: Routenplanung, Variantenberechnungen, um nur mal zwei zu nennen.
Der erste Schritt besteht also für ein Unternehmen darin, solche Aufgabenstellungen zu identifizieren, in denen herkömmliche Rechenverfahren an ihre Grenzen stoßen. Diese Grenze erkennt man, wenn man nach Berechnungen sucht, die nur angenähert werden können, die über die Nacht laufen oder die immer nur in kleinen Bereichen eingesetzt werden. Das Dumme daran, Berechnungen, die keiner programmiert hat, weil es zu komplex ist, findet man nicht.
Tatsächlich sollte man dabei auch nicht aus dem Auge verlieren, welcher Mehrwert sich aus der Lösung des Problems für das Unternehmen ergibt.
Was mache ich dann mit meiner Problemstellung? Ich stelle mir vor, dass es zunächst einmal schwierig ist zu erkennen, wie man das Problem mit einem Quantencomputer lösen soll.
Genau. Der nächste Schritt besteht darin, aus der fachlichen Problemstellung das Kernproblem herauszuarbeiten und in eine Form zu bringen, dass es quantenphysikalisch berechnet werden kann. Es gibt für das Quantencomputing Stand heute keine höheren Programmiersprachen, die eine leichte Abbildung des Problems auf den Quellcode ermöglichen würden. Das ist nicht nur dem „anderen“ Rechnen von Quantencomputern geschuldet, sondern auch dem Umstand, dass wir uns tendenziell mit „schweren“ Problemen beschäftigen. Gleichzeitig müssen wir uns an diesem Punkt auf die Suche begeben nach einem Quantenalgorithmus, der für die Lösung des Problems infrage kommen könnte. Im ersten Interviewteil aus der Quantencomputing-Artikelreihe zum Thema „Digitale Transformation“ und zweiten Interviewteil zu den „Anwendungsgebieten der Supercomputer“ hatten wir über die BMW-Challenge gesprochen – da hatten wir uns beispielsweise für einen Grover-artigen Suchalgorithmus entschieden, um die richtigen Lösungen im booleschen Regelwerk zu finden, das sich aus den Baubarkeitsregeln der Fahrzeuge einerseits und den zu erfüllenden Testbedingungen (in den Vorserientests) andererseits zusammensetzt.
Das hört sich ja herausfordernd an. Und dann lassen wir den Quantencomputer diesen Algorithmus ausführen?
Jetzt kommt erst einmal die hohe Kunst des Quantensoftware-Engineering. Wir müssen unser fachliches Problem nicht nur in entsprechenden Code gießen, sondern gleichzeitig auch noch mit den realen Einschränkungen von Quantencomputern umgehen. Da ist zum einen Notwendigkeit zu Fehlerkorrekturen – erinnern wir uns daran, dass Quantencomputing ja im Grunde das Ausführen hochkomplexer physikalischer Experimente bedeutet und damit nicht deterministisch ist. Zum anderen erlaubt es die Anzahl der verfügbaren Qubits heute oft noch nicht, ein Problem direkt auf eine entsprechende Formulierung im Sinne der Quanteninformatik abzubilden. Aus diesem Grund haben wir beispielsweise – um ein letztes Mal auf die BMW-Challenge aus demersten und zweiten Interviewteil zu sprechen zu kommen – einen hybriden Ansatz ausgewählt, der auf Basis eines „klassischen“ SAT-Solvers arbeitet (also eines Algorithmus, der Lösungen für boolesche Probleme findet) und zur Lösung eines Teilproblems auf den entsprechenden Quantenalgorithmus umschwenkt. Also, ein herkömmlicher Algorithmus hackt das Problem in so große Stücke, dass jedes dieser Stücke mit der heutigen QC-Welt berechnet werden kann. Solche hybriden Algorithmen können dann mit der Reife von QC-Hardware mitwachsen, bis in ein paar Jahren, das vollständige Problem QC-mäßig gelöst werden kann.
Eine weitere Herausforderung sollten wir auch noch erwähnen: Rechnungen eines Quantencomputers lassen sich nicht so einfach testen und debuggen, wie wir das von unseren heutigen Software-Entwicklungsumgebungen gewohnt sind. Das hat wiederum fundamentale Gründe, die darin liegen (Du erinnerst Dich an den ersten Teil des Interviews), dass jede Messung die so genannte Kohärenz des Gesamtzustands der Qubits zerstört, wir uns damit also nicht Schritt für Schritt durch den Algorithmus bewegen können wie in unseren heutigen Programmen. Man findet hier Wege, aber es ist eines der Gebiete, auf dem aktuell noch geforscht werden muss.
Was heißt das für Unternehmen konkret, die Quantencomputing einsetzen wollen? Da sind ja bis zur Umsetzung der Anwendung einige Hürden zu überwinden.
Das ist unbestritten – aber es ist auch kein Hexenwerk. Zwei Dinge sollten Unternehmen angehen:
- Einerseits Erfahrungen sammeln. Es gibt inzwischen verschiedene kommerzielle Anbieter und Open-Source-Projekte, die es ermöglichen, mit Quantencomputing-Simulatoren oder mit echten Quantencomputern Quantensoftware zu erproben. Derartige Plattformen sind leicht verfügbar, und auch wir verwenden sie, um Erfahrungen mit Kunden zu teilen.
- Andererseits: Rat holen und aktiv das Gespräch suchen. Je nachdem, an welchem Punkt das Unternehmen steht, braucht es bestimmtes Wissen und Partner, um die richtigen Weichen zu stellen. Sei es, um fachliche Probleme im Unternehmen zu sichten und zu bewerten, Potenziale zu analysieren, die sich durch Quantencomputing ergeben könnten, die nötigen organisatorischen und IT-strategischen Voraussetzungen im Unternehmen zu schaffen, oder in Richtung einer Umsetzung zu gehen.
Sind wir denn schon so weit? Wann werden wir die ersten Quantenanwendungen erleben?
Einige kleinere Anwendungen wie die erwähnten Zufallsgeneratoren gibt es schon, und ein spezieller Zweig des Quantencomputings, das „adiabatische Quantencomputing“, findet bereits praktische Anwendungen. Worüber wir hier gesprochen haben, das so genannte „universelle Quantencomputing“, das auch die erwähnten Performancevorteile mit sich bringt, wird derzeit intensiv erforscht und entwickelt. Wir werden nach meinem Eindruck hier in den nächsten 1-2 Jahren erste relevante Anwendungen sehen; Marktforschungsinstitute sehen bereits in fünf Jahren einen wirtschaftlich signifikanten Beitrag zum IT-Geschäft. Für Manager mag sich das nach einer langen Zeit anhören, doch aufgrund der aktuellen, stürmischen Entwicklung und des ausgeprägten, sehr spezifischen Knowhow-Bedarfs sollten Unternehmen sich frühzeitig Gedanken dazu machen, inwieweit das Thema „Quantencomputing“ für sie relevant sein könnte, das erforderliche Grundverständnis aufbauen und sich, gegebenenfalls mithilfe eines passenden Partners, für den Einsatz von Quantencomputing vorbereiten.
Quantentechnologie wird unseren Alltag verändern – aber wie können Unternehmen das Thema Quantencomputing aktuell angehen und auf den Markt bringen? Wer bringt die passende Expertise mit?
Ob Quantencomputing den Alltag jedes Einzelnen von uns verändert, lässt sich heute wohl noch nicht sagen. Ich bin aber überzeugt davon, dass Quantencomputing dramatische Veränderungen bringen könnte gerade in Bereichen, die heute hochqualifizierten Arbeitskräften vorbehalten sind, oder dass es Bereiche erschließt, die heute noch nicht in Reichweite unserer Rechenmöglichkeiten liegen – wir hatten ja Beispiele dazu diskutiert. Und ja, Du sprichst es an, dazu benötigen die Unternehmen Menschen mit der nötigen Expertise. Und zwar Expertise in erheblich größerer Breite wie in „klassischen“ IT-Themen, zumal sich das Gebiet ja auch noch in einer stürmischen Entwicklung befindet.
Bei diesen Herausforderungen sollten interessierte Unternehmen Partner hinzuziehen, die über das nötige Hintergrundwissen in Informatik, Physik und Mathematik verfügen und dieses Wissen auch weitergeben. Unbezahlbar sind auch praktische Erfahrungen in der Programmierung von Quantensoftware und der Interpretation deren Ergebnisse. Das ist insbesondere dann wichtig, wenn es notwendig ist, hybride Ansätze zu entwickeln, die ausgehend von den heutigen, noch sehr beschränkten Möglichkeiten, mit der Hardware-Entwicklung mitzuwachsen. Dabei werden dann klassische und Quantenverfahren in geeigneter Weise kombiniert. Und schließlich hilft uns unser tiefes Verständnis der fachlichen Prozesse beim Kunden sehr, die geschäftlichen Problemstellungen auf „Quantentauglichkeit“ hin zu analysieren.
Expertise der msg-Gruppe zum Thema „Quantencomputing“ in der Branche Automotive:
- Wir lösen gemeinsam mit unseren Kunden die Herausforderungen und bereiten sie für die Erschließung des enormen Potenzials von Quantencomputing vor.
- Wir vermitteln aktiv Wissen zu Quantencomputing.
- Wir haben Erfahrung im Schreiben von Quanten-Algorithmen für die Lösung von Booleschen (SAT-) Problemen, unter anderem durch die Teilnahme an der BMW Quantum Computing Challenge 2021.
In diesen Herausforderungen stehen wir Ihnen zur Seite. Wir verfügen über das nötige Hintergrundwissen und geben dieses auch gerne weiter: in Vorträgen, Hochschulvorlesungen oder auch Online-Kursen. Erste praktische Erfahrungen in der Programmierung von Quantencomputern konnten wir bereits sammeln und diese mit der traditionell sehr starken fachlichen Branchen-Expertise verbinden. So haben wir jüngst für BMW eine Lösungsidee entwickelt, um die Testfahrzeugflotte im Serienanlauf zu optimieren. Unser hybrider Ansatz kombiniert einen klassischen SAT-Solver mit einem Quanten-Algorithmus und zeichnet sich durch Skalierbarkeit aus, je nach der zur Verfügung stehenden Quanten-Rechenkapazität.
Quantencomputing ist ein extrem aussichtsreiches Feld, das in einer stürmischen Entwicklung begriffen ist, und das innerhalb der nächsten Jahre schrittweise zur Serienreife gelangen könnte. Wir stehen für diesen nächsten großen Schritt der Digitalen Transformation bereit, unsere Kunden mit algorithmischer und IT-strategischer Beratung, Konzeption und Umsetzung sowie Integration und Betrieb von Quanten-Applikationen zu unterstützen.
Toll, wie die msg-Gruppe praktische Erfahrungen aufbaut, dieses Wissen weitergibt und damit den Kunden unterstützt. Vielen Dank für den Einblick in die Herausforderungen, denen sich die Unternehmen beim Einsatz von Quantencomputing stellen und wie sie diese überwinden können!
Alle Interviews
- Teil 1: Quantencomputing - Der nächste Sprung in der Digitalen Transformation
- Teil 2: Quantencomputing - Welche Anwendungsgebiete sind realistisch für den Einsatz der „Supercomputer“?
- Teil 3: Quantencomputing - Wie ist der Weg zum praktischen Einsatz und welche Hürden sind von Unternehmen zu überwinden?