02.09.2023
Von Esther Reiserer. Erschienen in: Die Presse, 02.09.2023
Zu unflexibel, zu träge, zu teuer: Die Vorurteile gegenüber älteren Arbeitnehmern sind zwar weit verbreitet, aber oft falsch.
„Bei uns gibt es einen Berater, der ist 73 Jahre alt und hat erst kürzlich einen Kundenvertrag über vier Jahre abgeschlossen“; führt Ursula Burgstaller-Skalla, HR-Chefin bei MSG Plaut, als Beispiel an. Die Firma sei darauf bedacht, Bewerber nach ihren Qualifikationen und dem Personality-Job-Fit einzustellen. Nicht anhand ihres Alters.
Im Fall des Kollegen Gerhard Friedrich betont sie: "Er läuft auch noch Marathons. So einen fitten Jungen müssen Sie erst mal finden." Die Firma biete flexible Arbeitszeiten und Mentorship-Programme. "Es ist wirklich keine große Herausforderung, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem sich junge und ältere Personen wohlfühlen." Dennoch halten Vorurteile viele davon ab, noch einmal Job zu wechseln oder sich weiterzubilden. Und vonseiten der Arbeitgeber: ihnen eine Chance zu geben. Was für die Betroffenen entmutigend sein kann, bedeutet auch wirtschaftliche Einbußen. So liegt die Erwerbstätigenquote der 55 bis 64-Jährigen hierzulande bei nur 56,4 Prozent. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ist sie nur um einen Prozentpunkt gestiegen, wie die Statistik-Austria-Erhebung zeigt.
„Es braucht pre-pensionäre Weiterbildung, um die Mitarbeitenden leistungsfähig zu halten, die Bindung zu stärken und ihnen auch noch Karrieremöglichkeiten aufzuzeigen“, sagt Walter Reisenzein. Der Executive-Outplacement-Berater war zuletzt in leitender Funktion bei der Personalberatung LHH tätig. Er beschäftigt sich damit, wie Senior Retention also das Behaltemanagement von Personen ab 50 Jahren funktionieren kann. „Führungskräfte sollen sich nicht an den Defiziten, sondern Stärken orientieren. Ältere in den Prozess einbinden und fünf Jahre vor Pensionsantritt fragen: Was möchtest du noch lernen?" So werde Wertschätzung auf beiden Seiten ermöglicht. Und die Option, Beschäftigte bei Bedarf zurückzuholen. In den USA sei das „Boomerang“-System gang und gäbe. „Es ist üblich, nach der Verabschiedung in Kontakt zu bleiben und auch mal zu einer Firma zurückzukommen. Hier ist es selten der Fall, da spielen auch Eitelkeit und Stolz eine Rolle“, so Reisenzein.
Vonseiten der Politik brauche es reale Anreize, um länger im Arbeitsleben zu bleiben -wie die angekündigten Bonuszahlungen. Insgesamt auch mehr positive Verstärkungen, als Montagfrüh im Radio zu hören, dass „wieder eine neue Arbeitswoche zu bewältigen ist“, kritisiert er. Geht es um diese Verstärkungen in Firmen, hat die Personalberatung epunkt in Wien unter 103 Unternehmen näher nachgefragt. Über die Hälfte gibt an, keine Angebote für die Generation 55+ zur Verfügung zu stellen. 38 Prozent setzen konkrete Maßnahmen, und acht Prozent kommunizieren zumindest im Hiring-Prozess, dass man sich „über Silver-Ager-Bewerbungen“ freue. Auch die Gründe dafür wurden analysiert.
Zu teuer: Durch das Anrechnen der Vordienstzeiten ist das Einkommen höher als jenes der Jüngeren. Dafür stehen Wissen, Erfahrung und oft ein Netzwerk zur Verfügung, das sonst zugekauft werden müsste.
Zu oft krank: „Die Statistiken der Krankenkassen zeigen: Jüngere sind öfter krank. Wahr ist, dass Ältere länger im Krankenstand sind“; so Martina Schröck, FAB-CEO. Zu berücksichtigen sei, dass Ältere meist keinen Betreuungspflichten mehr nachkommen müssen.
Weniger leistungsfähig: Hier gilt es, zwischen fluider Intelligenz (also Information schnell zu verarbeiten) und kristallinem Denken zu unterscheiden. Während die erste ab 35 Jahren abnimmt, vergrößert sich das Wissen im Zeitverlauf.
Auf einen Blick:
Die Arbeitslosenquote der 60 bis 64-Jährigen lag 2021 bei rund 12,3 Prozent. Damit waren sie die Altersgruppe mit der höchsten Arbeitslosigkeit. Für jene, die das Regelpensionsalter erreicht haben, aber noch weiterarbeiten möchten, hat das Sozialministerium einen Bonus eingerichtet: Pro Jahr, maximal drei Jahre lang, sollen um 4,2 Prozent mehr bezahlt werden.